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Agenda Das Modell Jürgen SchneiderDossier Milliarden weg, Schloss weg, Haft - Immobilienspekulant und Betrüger Jürgen Schneider bekam seine Strafe. Jetzt will er, dass auch die Verantwortlichen der Finanzkrise büßen. Ein Gespräch mit einem alten Mann über das Mehr. von Jarka Kubsova (Königswinter) Er kommt pünktlich, 14 Uhr, auf die Minute. Ein großer, älterer Herr, schwarzer Mantel, Aktenkoffer, eiliger Schritt, kurzes Nicken zu den Damen am Empfang. Koffer und Mantel pfeffert er auf einen Sessel, als läge schon ein langer Arbeitstag hinter ihm, als hätte er es gerade so vom letzten Termin hierher geschafft, als müsse er gleich weiter. Muss er aber nicht. Jürgen Schneider hat Zeit. Und er will reden. Über den Skandal damals, über die Krise heute und was das eine mit dem anderen zu tun hat. Die Idee gefällt ihm. Den Treffpunkt hat er sich ausgesucht: das Grandhotel Petersberg, einen hellen Prachtbau im Siebengebirge hoch über dem Touristenstädtchen Königswinter. Er legt noch immer Wert auf den richtigen Rahmen. Und er lebt hier wohl in der Nähe, wo genau, will er nicht sagen, auch nicht, wovon. Das stellt er gleich klar. Jürgen Schneider weiß noch immer, wie man spielt. Perfekt inszenierte er früher den Auftritt als schnittiger Geschäftsmann, den Baulöwen, immer ein bisschen zu stark gebräunt, immer mit Toupetmähne ("Ach, haste jetzt auch so eins", brummte sein Vater, "muss das denn gleich so viel sein?") und immer mit der Lesebrille, die er gar nicht brauchte, auf der Nase, das sollte ihn strenger machen, wenn er die Brauen hochzog und über die Ränder schaute. Heute ist die Brille wirklich nötig, Bräune und Toupet sind weg. Schneider ist 74 Jahre alt, ein einfaches Gesicht passt besser zu dem, was er jetzt sein will: nennen wir es mal graue Eminenz. Einer, der vorgibt, seinen Frieden gemacht zu haben mit seinem Scheitern und denen, die ihm übel mitgespielt haben ("Ich bin doch keinem böse. Ich hab das hinter mir."), der sich noch gern ab und an seine verflossenen Besitztümer ansieht, einfach so aus Liebhaberei ("Ich guck mir meine Häuser immer an, und ich reg mich immer auf, wenn da irgendwo Zigarettenkippen rumliegen. Ich kann das nicht sehen."). Einer, der sich weniger um sich selbst als um das große Ganze sorgt. Und der weiß, wovon er da spricht. Jeden Tag verfolge er die Nachrichten zur Finanzkrise, erzählt er, in den Zeitungen, im Fernsehen, im Internet, "ganz bange" sei ihm um die Wirtschaft, um Deutschland. "Was jetzt passiert, um Gottes willen!" Es sei Zeit für neue Gesetze, sagt er, "das System" müsse sich verändern. "Ich sage mit tiefster Überzeugung: So blöd ist keiner dieser Bankvorstände, dass er nicht genau gewusst hat, was für Dummheiten er macht. Diese Menschen müssen zur Verantwortung gezogen werden." Nein, nein, es gehe ihm nicht um Rache, warum auch. Es gehe ihm um "das System", "dass sich die Fehler nie mehr wiederholen". Aber schnell ist er dann doch wieder bei sich. Beim Fall Schneider. Bei seinem Immobilienimperium, finanziert mit Milliardenkrediten, das mehr und mehr an Bodenhaftung verlor und schließlich Mitte der 90er-Jahre zusammenkrachte zu einem gigantischen Schutthaufen von 5,4 Mrd. DM Schulden, auf dem 50 Banken am Ende sitzen blieben. Schneiders Rechnung ist einfach: "Was die Banker in meinem Fall nicht sehen wollten, das wollten sie bei den Häuschen der Amerikaner auch nicht sehen. Und das ist die Ursache für den ganzen Mist." So sieht er das. Sein Fall sei das "Modell dieser Krise", sagt Schneider. Sein Fall hätte "ein Lehrstück für die Wirtschaft" sein sollen, so habe es auch der Richter damals gesagt. Aber man habe die Konsequenzen nicht gezogen. Ein Schneider musste wegen Betrugs in Haft, ein Hilmar Kopper aber, damals Chef der Deutschen Bank, der konnte die unbezahlten Handwerksrechnungen über 50 Mio. DM einfach als Peanuts abtun, das war's. Das ist Schneiders Blick auf die Dinge. "Hätten die Banken sich damals schon die Finger verbrannt", sagt er, "hätten sie es heute nicht so weit getrieben." Diesmal müsse gründlich gegen die Institute ermittelt werden. Und: "Ich hoffe, dass einige von den Managern in einem öffentlichen Prozess verurteilt werden." Wie gesagt: keine Rache. Er spricht laut und mit einer Stimme, die es gewohnt ist, Gewicht zu haben, den Rücken stramm in den kleinen Cocktailsessel gedrückt, seine Finger krallen sich ins weiche Leder. Er gerät ins Erzählen, man hört ihm gern zu. "In nur 13 Jahren habe ich es zum größten privaten Bauherrn in Deutschland gebracht", sagt er, in der Brust ein heiseres Lachen, das in einem Husten endet. Er hat eine Grippe hinter sich, aber er ist robust, und das Herumkramen in Erinnerungen macht ihn munter. Über den Bauch wandert eine altmodische Krawatte, von links nach rechts, hin und her, wie er sich so windet in dem kleinen Sessel. Das Hemd ist verwaschen, in der Brusttasche steckt ein Kugelschreiber aus Plastik. Er erzählt genüsslich, wie er es allen gezeigt hat, er, der gelernte Maurer, der später Ingenieur wurde und mit 48 noch in der Baufirma seines Vaters arbeitete. 1982 zeigte er der Deutschen Bank das erste Mal, was er aus Geld zu schaffen imstande ist. Günstig kaufte er einen verkommenen Gründerzeitbau, das Goldene Kreuz mitten in Baden-Baden, direkt gegenüber der dortigen Filiale des Geldhauses. Keiner hatte etwas zu lachen unter Bauleiter Schneider. "Ich hab die Architekten und die Handwerker da durchgetrieben, bis es ein Prachthaus war", sagt er heute und stellt sich vor, wie sich die Herrschaften drüben in der Bank die Nasen wohl an den Scheiben platt drückten und staunten, was der Schneider vis-à-vis auf die Beine stellte. Schneider fuhr hohe Mieten ein, der Immobilienmarkt war heiß, die Wertsteigerungen spektakulär, genau wie zuletzt in den USA. Es waren Zeiten, in denen Banken gern Darlehen vergaben, weil sie glaubten, nur gewinnen zu können. Schneider kaufte, sanierte, vermietete teuer oder verkaufte aufsehenerregend, teils mit 100 Prozent Gewinn. So ging es immer weiter, der nächste Kredit, der nächste Glanzbau, am liebsten historisch, denkmalgeschützt, in Bestlage. Er war wie besessen, sein Arbeitstag begann um fünf und endete in der Nacht. Nach wenigen Jahren gehörten ihm 168 Großobjekte. Die Banken zahlten, weil sie ihm glaubten. Alle kamen sie zu ihm, die Banker, nach Königstein, dem Reichenvorort von Frankfurt im Taunus, auf sein Anwesen, Schloss würde man dazu sagen, "Schlösschen", sagt Schneider. Noch heute fährt er manchmal dorthin, parkt das Auto, schaut durch den Zaun, dessen Spitzen er einst mit Blattgold überziehen ließ, und muss selbst lachen, wenn er daran denkt, wie er das Gebäude nachts immer hell leuchten ließ. Ringsum wohnten einige Bankvorstände; vor dem Einschlafen sollten sie das Schlösschen vom Schneider vor Augen haben. Vorfahren durften nur Vorstände, wer weniger wichtig war, musste zu Fuß zum Haus gehen. Jeden ließ er warten, in einer Halle mit riesigem Marmorkamin, schweren Vorhängen und viel Antikem. "Das hat den Anschein von Beständigkeit." Empfangsdamen reichten Kaffee und Kekse, und Schneider stand oben und hat sich fast kaputtgelacht. "Dann bin ich runter und hab mich tausendmal entschuldigt, dass sie warten mussten." Für Geschäftsessen richtete er ein eigenes Zimmer her in einem der Türmchen. Mädchen mit Spitzenhauben bedienten. Und während es da so dampfte von den Tellern auf dem schweren Eichentisch, die Gläser voll mit teuerstem Wein und altem Cognac, steckten sie die Köpfe zusammen. "Wird es gut gehen, Herr Schneider?", fragten sie. "Ohne Angst geht nichts", sagt Schneider heute, "aber wir wollten die schönen Objekte, wir wollten das Geschäft machen. Wir haben spekuliert, wir haben bewusst überbewertet. Dabei haben wir vergessen, absichtlich vergessen, die Risiken angemessen zu kalkulieren." Bedenken, Zweifel? "Natürlich gab es die", sagt er. "Wir waren doch Geschäftsmänner. Wir waren doch nicht blöd. Dieses Gespenst, die heimliche Angst, die ging immer um." Aber man habe sie ignoriert, behauptet er jetzt im Grandhotel Petersberg. Heute könne man sehen, dass es einen Verführer wie ihn gar nicht brauche. Die Verführung sei damals wie heute ein simples Streben: "Jeder will größer sein als der andere, will ein größeres Auto fahren, einen höheren Bonus einstreichen. Er möchte eine bessere Stellung und mehr Ansehen." Die Kriminellen, die die Anweisungen gegeben hätten, säßen doch ganz oben in den Vorständen. "Wenn ich undurchsichtige Papiere aus Amerika kaufe, guck ich doch rein, das ist doch deren Job. Aber die haben sich alle gesagt: Das wird schon gut gehen." Schneiders Subprime wurde in den 90er-Jahren Deutschlands Osten. Die Wiedervereinigung mit Bauboom war seine Hoffnung. Doch 1992 passierte, was er, was die Banken nicht wahrhaben wollten. "Die Mieten fielen, die ganze Bewertung passte nicht mehr. Da ging es den Bach runter." Schneider ignorierte die Gefahren, die Banken auch. "Man hofft ja noch", sagt er. Er kaufte weiter, noch teurer, sanierte aufwendiger. Kein Material war gut genug, kein Marmor zu teuer. Er spekulierte auf den Aufwärtstrend - und betrog. Rechnete Nutzflächen herunter, Mietflächen rauf, hier noch ein fiktives Geschoss, da noch eins, rein damit in die Verträge. Er musste expandieren, um den Rest zu halten, mit neuen Krediten fing er die Verluste auf. Und trotz der Probleme auf dem Immobilienmarkt pumpten die Banken Millionen in seine Firma. Bald reichten die Mieteinnahmen kaum, um die Kreditzinsen zu zahlen. Schneider bediente aus neuen Krediten. Eine Zeit lang ging das gut, ganz so wie auf dem amerikanischen Häusermarkt. Wessen Einkommen nicht mehr reichte, um die Zinsen zu zahlen, der nahm neue Kredite auf, um die alten bedienen zu können. Schluss war erst, als die Blase platzte. Damals wie heute. "Wären die Darlehensanträge richtig gelesen worden, wäre mancher grobe Unsinn aufgefallen", stellte der Richter später fest, als er Schneider ins Gefängnis schickt. Das aber wollte keiner, sagen Schneiders Anwälte: "Die Banken wussten um die Problematik, und sie hatten ein Interesse, die negativen Folgen des Engagements nicht mit voller Konsequenz wahrzunehmen." Stattdessen reichten sie Schneiders Kredite weiter, immer mehr Institute kamen mit ins Boot. Ähnlich wie sich die unbesicherten Hypotheken der amerikanischen Häuslebauer auf die Banken in der ganzen Welt verteilten, lief es im Fall Schneider. "Im Stil von Waschmittelwerbung", so der Richter, hätten die Banken bei anderen Banken die Geschäfte mit Schneider angepriesen. Dann fiel alles in sich zusammen. Am 24. Februar 1994 kam Schneider früh nach Hause. "Liebe Frau", sagte er zu seiner Claudia, "wir müssen mal einige Zeit verschwinden." Er war aufgeflogen mit der Zeilgalerie in Frankfurt. 20.000 Quadratmeter Mietfläche standen in Schneiders Finanzierungsanfrage an die Banken für das Objekt. Wie viele es wirklich waren, zeigten riesige Ziffern auf dem Bauschild: 9000. Jeden Tag sind die Banker daran vorbeigegangen. Aber es waren lokale Zeitungen, die den Betrug witterten. "Aus, jetzt ist es aus. Dein schönes Imperium ist dir um die Ohren geflogen", habe er sich gesagt und floh mit seiner Frau. Ein Jahr später verhaftete ihn das FBI in Miami, einen alten Mann in Bermudashorts. Im Sommer 1997 begann dann der bis dahin größte Wirtschaftsprozess des Landes. Am Ende stellte der Richter fest: Schneider sei kein abgebrühter Großbetrüger, sondern ein schlichter Mann, der beseelt von unrealistischen Geschäften zu illegalen Mitteln griff in der Hoffnung, es werde gut gehen. Schneider erhielt sechs Jahre und neun Monate Haft wegen Betrugs in besonders schwerem Fall und Urkundenfälschung. Die Banken treffe eine besonders hervorzuhebende Mitverantwortung, im Einzelfall ein Mitverschulden, so der Richter. Von "grober Pflichtverletzung" und "unfassbarer Fahrlässigkeit" war die Rede. Zu zwei Dritteln saß Schneider die Strafe ab. Noch immer rührt ihn die "herzliche Weise", in der er wieder aufgenommen worden sei, als er 1999 frei kam. Er werde oft eingeladen, seine Frau und er seien "eingebettet in eine große Familie, wir stehen wirtschaftlich bestens da. Nicht ich persönlich, sondern die Familie". Mehr will er dazu nicht sagen. "Das Leben macht Spaß, es bleibt was Schönes übrig. Die Häuser kann ja keiner wegtragen." Draußen senkt sich die Sonne über den Petersberg, Schneider sieht hinaus, blickt ins Leere und sagt noch einmal, was er die ganze Zeit sagen will. "Es muss einen Prozess geben, aber diesmal müssen die Banker da alleine durch." Er greift seinen Mantel. "So ein Exemplar wie mich gibt es heute nicht mehr." |