Jürgen Schneider im Jahr 1993 in Barthels Hof. Foto: Wolfgang Zeyen
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Jürgen
Schneiders Bekenntnisse
Nachdenken über Jürgen
Schneider
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Dr. Utz Jürgen Schneider
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Wolfgang Wischer
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Nachdenken über Jürgen S.
oder: Die unendliche Schneidergeschichte
Ghostwriter der Schneider-Autobiografie
"Bekenntnisse eines
Baulöwen"
"Neue Vorwürfe gegen Schneider!"
Was immer da dran sein mag - jüngste Sensationsmeldungen zum Fall
Schneider zeigen vor allem eins: Der Mann ist nach wie vor schlagzeilentauglich
- Jahre nach spektakulärer Flucht und Prozess. Kaum eine Woche in
den vergangenen zwei Jahren, ohne dass nicht zumindest sein Name in einer
überregionalen Zeitung stand. "Hereinspaziert, wenn´s kein Schneider
ist" wurde zur stehenden Redewendung in Bankerkreisen, die "Peanuts" des
Herrn Kopper sind fast schon dudenreif. In Leipzig, der Hauptstätte
seines Wirkens, entstand eine Art Personenkult um ihn, regelmäßig
gibt es Führungen zu seinen ehemaligen Objekten in der historischen
Innenstadt, Gerüchten zufolge soll sogar ein Denkmal zu seinen Ehren
errichtet werden.
Offenbar ticken die Uhren des Vergessens
beim Schneider-Skandal langsamer. "Wie schon damals im Fall Schneider"
hieß ein Standardkommentar zu zahlreichen Skandalen, die seitdem
die deutsche Bank- und Bauwirtschaft erschütterten. Tatsächlich
verbinden den Fall Schneider, den Skandal um die bayrische LWS, wegen dem
Justizminister Sauer seinen Stuhl räumen musste, den Skandal
um die "plötzlich entdeckten" Milliardenlöcher der Hypobank und
jüngst die Krise bei Holzmann ein gemeinsames Spekulationsproblem.
In allen Fällen waren es verlustreiche Immobiliengeschäfte, die
Firmenbilanzen ins trudeln brachten. Ende der achtziger Jahre gab es nämlich
eine Immobilienhausse ohnegleichen, die durch die Wiedervereinigung noch
angeheizt wurde, um dann in eine Baisse abzugleiten, deren Talsohle analytischen
Optimisten zufolge mittelerweile erreicht worden sein soll - allerdings
um den Preis von 30-50 prozentigen Wertverlusten bei Gewerbeimmobilien.
Da es die nach dem weitverbreiteten Vorurteil, wonach Immobilien solide
Werte seinen, eigentlich gar nicht geben dürfte, wird von Insiderkreisen
gerne der Mantel des Schweigens darüber gedeckt. Den Ernst der Lage
bekannte dennoch Ende 1998 Wolfgang Rupf, Chef der Bankgesellschaft Berlin,
in der Wirtschaftswoche. "Wenn alle deutschen Banken ihre Immobilien nach
derzeitigem Liquidationserlös bilanzieren würden, dann gäbe
es keine einzige Bank mehr." Soweit zur Aktualität der wirtschaftlichen
Hintergründe. Schneider spielte ein Spiel, das viele spielen, und
er hat Pech gehabt. Pleiten lassen sich auch hinter den Kulissen abwickeln.
Seine persönliche Prominenz
beruht zum einen auf Superlativen: Größter deutscher Bauherr,
größter privater Kreditnehmer, größter Wirtschaftsskandal
der Nachkriegszeit. Ausschlaggebend für die unendliche Mediengeschichte
ist aber das Schillern der Person, die Schwierigkeit, sie in eine bekannte
Schublade zu stecken, und die Tatsache, dass sich an Schneider die Geister
scheiden. Für die einen ist er eine Art Robin Hood, der Milliarden,
die sonst in elektronischen Bankbilanzen unsichtbar geblieben wären,
zum Wohle des deutschen Stadtbilds einsetzte, für die anderen ist
er ein betrügerischer Pleitier, der mit Raffinesse und auf Kosten
unschuldiger Handwerker Schwächen des Banksystems ausnutzte. Wo die
Fakten unklar sind, blühen die Projektionen. Offensichtlich ist, dass
Schneider nicht in das Klischee vom gemeinen Abzocker passt, der um des
schnellen Geldes willen krumme Geschäfte macht.
Sein Richter Gehrke benannte strafmindernd
neben der geringen kriminellen Intensität - mit Tipp-Ex und Bürokopierer
als Tatwerkzeugen - dass er mit Hilfe der Kreditmilliarden keineswegs ein
ausschweifendes Leben geführt, keine Rennpferdställe, Auslandsvillen
und dergleichen mehr besessen habe, sondern vielmehr besessen gewesen sei,
nämlich von einer Idee - der Idee einer besseren Stadt. Diese Vision,
durch eine gehörige Portion Eitelkeit beflügelt, habe ihn voll
und ganz erfüllt und zu seinen guten wie schlechten Taten getrieben.
Im Prozess blieben aus taktischen
Erwägungen viele Fragen offen - z.B. die, ob die zivilrechtliche Konkurserklärung
Schneiders ohne Prüfung eigentlich rechtens war. Auch wenn mit Billigung
aller Prozessbeteiligten nicht geklärt wurde, inwieweit die Banken
Mitschuld statt, wie im Uteil festgehalten, nur Mitverantwortung an dem
Desaster traf, dämmerte es plötzlich dem geplagten Kleinkreditnehmer,
dass eine Bank bei mehrstelligen Millionenkrediten
offenbar alll die Sorgfalt vermissen
lässt, die man bis zur Geschäftsschädigung an ihn verwendet.
Mittlerweile hat man sich ja an die
Erkenntnis gewöhnt, dass Kriminalität auch in den höchsten
Konzernspitzen nistet, aber durch den Fall Schneider war, wie Vorstandssprecher
Christians vor dem Prozess bekannte, der Lack ab an der schönen Bankfassade.
Stattdessen regte sich öffentliche Schadenfreude, dass Angehörige
der deutschen Bankelite zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte
vor Gericht antanzen und kleinlaut Farbe bekennen mussten, vor lauter Blendung
durch den schönen Schein, den Schneider mit lausbübischer
Freude inszenierte, es mit der Kontrolle
nicht so genau genommen und erst, als es zu spät war, begriffen zu
haben, dass Schneider ihnen nur ihr eigenes Geld gezeigt hatte. Die Virtuosität,
mit der er seine Kundenmacht auszuspielen wusste, verwandelte ihn für
die große Masse der Ohnmächtigen in einen mythischen Superhelden
- ein halbes Fabelwesen. Endlich hatte mal einer den Spieß umgedreht
und die Banken über den Tisch gezogen! Ein weitverbreitetes und kaum
artikuliertes Unbehagen an der Bankenmacht nährt bis heute einen Gutteil
der Schneidersympathien. Umgekehrt verübeln ihm seine Feinde vermutlich
die blasphemische Schändung der quasi heiligen Bankautorität
am meisten.
Die Geschichte der abenteuerlichen
Flucht, die einen weltweiten Wettbewerb um die fetteste Zeitungsente auslöste,
verstärkte den Schneidermythos erst recht: Im Sommer 1994 wurde er
fast gleichzeitig auf allen möglichen Teilen der Welt geortet, in
London beim Geldabheben, in Teheran bei Bautätigkeiten, in Kalkutta
bei einer Notoperation, im Lockentoupet auf einer einsamen Farm in Feuerland.
Mit der Verhaftung nahm die Biografie einen weiteren Extremverlauf: Vom
Milliardär im Taunusschlößchen zum Flüchtling, den
die ganze Welt sucht, vom Flüchtling zum einfachen Knacki unter Miamis
Straßendealern - welch eine enorme Fallhöhe! Und nun war er
dort angelangt, wo die meisten sich wähnen: er war Verlierer. Bei
aller Häme, die die Medien über ihn ausschütteten, wuchs
dennoch im Verborgenen das Identifikationspotential. Nun war er einer der
vielen, die das Gefühl kennen: Es hätte ja auch klappen können
- hat es nur nicht.
Im Prozess kam dann der Mensch Schneider
noch besser zum Vorschein: Wie er sich noch zögerlich zu seiner Schuld
bekannte, wie er schluchzend vor dem Richter bekannte, sein größter
Wunsch sei es, wieder in die menschliche Gesellschaft aufgenommen zu werden,
wie er bei der BKA-Vernehmung sich nicht scheute, seine Häuser als
Zeugen dafür aufzurufen, dass er ohne böse Absicht gehandelt
habe, und nicht zuletzt die zärtlichen Gesten zwischen ihm und seiner
Frau, die auch in schlimmsten Zeiten zu ihm hielt - all das wirkte glaubwürdig
und rührte manches Herz. Und das weiche Gesicht, der Schalk in den
Augen: So sieht kein Bösewicht aus. Ein Baumensch, der die Sprache
des einfachen Mannes spricht, kein Intellektueller und doch begabt mit
einer Ader von frechem Witz, aber auch einer, der eigene Verantwortung
übernimmt, während seiner Haft ohne Murren sühnt und statt
Verbitterung seinem geschäftlichen Scheitern eine menschliche Entwicklungschance
abgewinnt - so eine Mischung ist selten und erzeugt Respekt, zumal unter
gestrauchelten Managern seinesgleichen mangelndes Schuldbewußtsein
die Regel ist.
Plötzlich mutierte der ehemalige
Baukönig bei seinen stillen Sympathisanten zum kleinen David, der
sich erst wacker gegen den großen Goliath schlug und schließlich
doch die Prügel kassierte. Damit wurde er zum doppelten Helden: Er
war einer, der etwas geschafft hatte, wovon alle träumen, und er erlebte
das, was die meisten Träumer und alle tragischen Helden erleben: Sie
erwachen im Scheitern. Zugleich "einer von denen" und "einer von uns" zu
sein, birgt ein gewaltiges Popularitätspotential, das sogar in Zeiten
des allmächtigen Medienalzheimers ungewöhnliche Erinnerungskräfte
mobilisiert.
Vielleicht gewinnen wir auf diese
Weise einen Volkshelden, wie ihn die deutsche Geschichte schon lange nicht
mehr gesehen hat, in der Tradition des Hauptmanns von Köpenick und
Eulenspiegels, die zu ihrer Zeit dem herrschenden System den Spiegel vorzuhalten
wußten.
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